
Unerwartet: BFF mal zwei
Echte Freundschaft hält ein Leben lang, so sagt man. Bei Thorsten und mir sind es knapp 30 Jahre. Wir sind „Best Friends Forever“. Ich hätte nicht gedacht, dass es später sogar zwei BFFs werden.
Nach dem Abitur gab es für mich nur ein Ziel: So schnell wie möglich raus aus dem elterlichen Nest und die Welt erobern. Die Reise endete nach genau 404 Kilometern im Schwesternwohnheim eines Krankenhauses. In der norddeutschen Stadt lebte nicht nur meine Freundin – auch der Staat beanspruchte meine Dienste als Zivildienstleistender für 15 Monate. Nach einem Jahr standen die nächsten „Zivis“ bereit, den Wehrersatzdienst zu leisten. Darunter Thorsten, den ich die folgenden drei Monate einarbeiten sollte.
Ähnliche Familienerlebnisse
Wir verstanden uns sofort. Wir waren nicht nur ein Jahrgang. Wir hörten dieselbe Musik (damals angesagt Simply Red und U2), interessierten uns für Sport, Klamotten und Politik – aber auch unsere Familienerlebnisse ähnelten sich. Unsere Väter waren nicht gerade die Vorzeige-Daddys was ihre pädagogischen und empathischen Fähigkeiten anging. Gemeinsam gründeten wir zudem einen bunten Hauskreis junger Christen, mit denen wir auch sonst viel unternahmen. Man teilt dort sein Leben miteinander, seinen Alltag, Sorgen und Freuden – ein Freundschaftskreis sozusagen, in dem alle eine Beziehung untereinander, aber eben auch zu Gott teilen.
Traurige und schöne Momente
Während der Studienzeit trennten sich unsere Wege, aber wir blieben immer in Kontakt. Die ersten großen Lieben zerbrachen und hinterließen so manche Trümmer. Herzen mussten getröstet werden, manchmal sogar mit ärztlicher Unterstützung. Mein Vater starb plötzlich, Thorstens Mutter quälte sich wegen ALS jahrelang bis zu ihrem Tod. Auch hier waren wir füreinander da. Natürlich auch bei den schönen Momenten, als unsere Partnerinnen „Ja, ich will!“ sagten. Seine Ehe hält bis heute. Ich brauchte einen zweiten Anlauf. Thorsten gründete eine Familie, ich heiratete eine.

Etwas stimmte nicht
Als Finn auf die Welt kam, schien das Glück perfekt. Ich freute mich so für Thorsten und seine Frau. Doch etwas stimmte nicht. Das Loch im Herzen ließ sich schließen, die Trisomie 21 nicht. Das ist ein Gendefekt. Thorsten hielt also ein behindertes Kind mit Down-Syndrom im Arm. Und ich hatte Finn sofort ins Herz geschlossen. Seine Lebenserwartung stuften die Ärzte nach und nach hoch. Aus Wochen wurden Monate, aus Monate Jahre. Heute ist er ein Teenager von 14 Jahren.
Klage bis zum Bundessozialgericht
Es ist unglaublich, welche Hürden und Fortschritte sich bei der Entwicklung von Finn die Hand gaben. Kinder mit Trisomie 21 strahlen so viel Liebe und Offenheit aus. Sie erschlagen einen förmlich mit ihrer Zuneigung und vertrauen einem von Grund auf. Sie können aber auch wahnsinnig anstrengend sein. Allein bis Finn einigermaßen verständlich sprechen konnte, dauerte ewig. Bis heute braucht er ein professionelles Training. Wie viele tausend Kilometer waren und sind seine Eltern unterwegs mit ihm ins Krankenhaus und zu therapeutischen Maßnahmen gefahren. Damit Finn eine fachliche Unterstützung im Schulunterricht hat, mussten seine Eltern in finanzielle Vorleistung treten und verklagten das Land auf Rückerstattung. Seit 8 Jahren kämpfen sie um ihr Recht. Mittlerweile liegt der Fall beim Bundessozialgericht. Diese Hartnäckigkeit war seit Finns Geburt an vielen Stellen gefordert.
Jetzt ist Finn dran
Dass die Ehe an den vielen Baustellen nicht zerbrach, grenzt an ein Wunder. Wie oft wurde gestritten, geweint und beinahe an der Situation verzweifelt. Ob aus der Ferne oder bei Besuchen – Thorsten und ich haben über unsere Ängste, Sorgen und fehlende Kräfte teils stundenlang gesprochen und uns gegenseitig ermutigt und Kraft gegeben. Jetzt ist auch Finn dran, über die Dinge zu reden, die ihn beschäftigen. Neben manchem Fußballspiel, das wir auf der Playstation zocken, berichtet er mir beiläufig von seinen Freunden und Schulkameraden, die nicht immer nett mit ihm umgehen. Oder sich so verhalten, dass es ihn irritiert.
Heute kommen rund 95 % aller Babys, bei denen während der Schwangerschaft Trisomie 21 festgestellt wird, nicht zur Welt. Ich bewundere immer, wie Thorsten und seine Frau das hinbekommen. Finn sorgt täglich für neue Herausforderungen, auf die sich seine Eltern einstellen müssen. Und ich freue mich, dass ich ein Teil seines Lebens sein darf. Eben „Best Friends Forever“.
Bernhard Limberg