
Meditative Momente beim Whisky-Tasting
Wie ich zum Whiskygenießer wurde
Während meines Studiums hatte ich die einmalige Gelegenheit an einem exquisiten Führungskräfte-Training teilzunehmen. Ein besonderes Highlight war eine Seminareinheit auf einer kleinen Insel vor Schottland. Nach der Ankunft lud uns unser Seminarleiter zu einem schottischen Abend ein: im stilvoll eingerichteten Salon mit Sandwiches und Whisky.
Der erste Schluck
Ich hatte noch nie Whisky getrunken, glaubte den Worten des Experten aber sofort, der davon sprach, wie gut und lange gereift dieser spezielle Single Malt sei. Nach dem Trinkspruch nahm ich beherzt einen großen Schluck … und musste alle mir zur Verfügung stehenden Disziplin dafür aufwenden, ihn nicht sofort wieder auf den schicken Salon-Teppich zu spucken. Meine Güte, das Zeug brannte ja überall. Meine Zunge fühlte sich ziemlich taub an. Im Rachen wanderte ein stechend-beißender Schmerz die Kehle abwärts …
Auch wenn ich mich geradezu heldenhaft bemüht hatte, mir nichts anmerken zu lassen, nahm mich einer der älteren Teilnehmer am nächsten Tag beiseite und gab mir eine kurze Einführung in die Welt des Whiskys – samt einem Übungsbesuch im Pub der Insel. Und das war eine Offenbarung.
Whisky – Wasser des Lebens
Ich lernte: Whisky heißt übersetzt: „Wasser des Lebens“ und ist ein Produkt des Christentums. Die Mönche, die damals in ihren Klöstern oft die einzigen Krankenstationen weit und breit unterhielten, übten sich in der Kunst der Alkoholdestillation. Allerdings machten sie das nicht des Genusses wegen, sondern weil sie Alkohol benötigten, um medizinische Tinkturen herzustellen sowie Binden und Verbände steril zu reinigen. Durch die Jahrhunderte wurde die Kunst der Destillation immer weiter verfeinert – und irgendwann kam ein ganz schlauer Mensch auf die Idee, dass dieses Gebräu auch ziemlich gut schmeckt. Whisky ist also von seiner Entstehung her ein Produkt christlicher Nächstenliebe. Das gefiel mir schon mal.

„Ein wunderbares Erlebnis von nahezu meditativer Dimension.“
Whisky ist Meditation
Dann ging es ans Whisky-Verkosten, ans Genießen-Lernen. Alle möglichen Störfaktoren wie Handy ausschalten, die Augen schließen und sich ganz auf die Wahrnehmung konzentrieren (zum Glück waren wir die einzigen Gäste im Pub):
Riechen. Was für ein Reichtum an Geruchsnoten aus dem Glas aufsteigt, ist überwältigend, betörend und ruft Bilder vor meinem geistigen Auge hervor: Ein Garten voller Apfelbäume in voller Blüte. Salzige Meeresluft.
Dann der erste kleine Schluck. Bleibt der Whisky für einige Zeit im Mund, entfalten sich hier und da die unterschiedlichsten Aromen. Vanille, Apfel, eine leichte Tabaknote, salzig, irgendwie etwas beerig … ja, er schmeckt auch scharf, aber die Schärfe lässt auf meiner Zunge, Gaumen und Kehle einen leichten Schmerz zurück, den ich nicht anders als geschmacklich euphorisierend beschreiben kann.
Dazu dann noch das gemeinsame Gespräch über die eigenen Wahrnehmungen … ein ganz wunderbares Erlebnis von nahezu meditativer Dimension.
Whiskygenuss schult die achtsame Wahrnehmung
Seitdem bin ich überzeugt: Whisky-Genuss ist eine kleine Schule der Achtsamkeit und hilft mir bewusst im Hier und Jetzt zu leben.
An Whisky-Abenden mit Freundinnen und Freunden kommt die Vielfalt, Fülle und Harmonie der Schöpfung und des Lebens zum Vorschein – in Geruch, Geschmack, gemeinsamem Fachsimpeln, Gemeinschaft und vielem mehr. Dabei ist das Faszinierende: Whisky ist eigentlich nicht edel oder teuer in der Herstellung – schon wenige natürliche, einfache Rohstoffe und ebenso natürliche Prozesse (wie die Fermentierung) „machen“ einen Whisky. Und gleichzeitig ist die Whiskyherstellung eine Kunst, dass durch eine jahrelange Lagerung in Holzfässern ein charaktervolles Getränk entsteht. Am Ende schmeckt jeder Whisky ein klein bisschen anders – ein Gesamtkunstwerk.
Gemeinsam mit guten Freundinnen und Freunden probiere ich ab und an neue Whiskysorten aus. Wenn wir im Genuss schwelgen und meditativ die Verkostung erleben, drückt schon einmal einer von uns seine Gefühle mit den Worten aus: „Dass aus ein bisschen Getreide und Wasser so was unglaublich Spannendes, Leckeres, Begeisterndes werden kann… da muss eigentlich schon Gott dahinterstecken.“
Heiko Metz