Im Einsatz für den Frieden
Wladi Rzepka, 56, hat als Entwicklungshelfer im zivilen Friedendienst lokale Organisationen in Afrika unterstützt. Von 2007 bis 2008 war er in Ruanda, von 2016 bis 2020 in Liberia. Erlebnisse und Erkenntnisse aus diese spannende Zeit hat er im Interview mit Stefan Kleinknecht erzählt.

Wladi, wie genau läuft es ab, wenn man als Friedensfachkraft ins Ausland geht?
An sich läuft das meistens so ab, dass es Entsende-Organisationen gibt. Bei mir z. B. „Brot für die Welt“ für die Zeit in Liberia. Als Entwicklungshelfer im Friedensdienst werden dann aber fast immer verschiedene lokale Organisationen vor Ort unterstützt. Die Themenbereiche und Einsätze können dabei ganz unterschiedlich sein. Was immer gleich ist: das Ziel, einen kleinen Beitrag für den Frieden zu leisten.
Bleiben wir bei deinem Einsatz in Liberia. Wie sah das konkret aus?
Ich habe dort eine liberianische NGO unterstützt. Hierbei war das Ziel, eine stärkere Befähigung und aktive Beteiligung der Jugend an der lokalen und nationalen Politikgestaltung und den Entscheidungsprozessen zu erreichen. Als Jugendliche zählen in Afrika Menschen bis 35 Jahre. Hier waren u. a. meine Aufgaben: Gesundheitsfürsorge, Begleitung und Entwicklung des Krisenmanagements der Organisation bei Wahlen oder Unruhen im Land, Verbesserung der Arbeitsbedingungen, HIV und Gender Policy – und mein Lieblingsprojekt, die Geburten-Registrierungen.
Worum ging es bei diesem Projekt genau?
Es ist ein Menschenrecht, als Mensch registriert zu werden auf dieser Erde. Ohne Registrierung existiert man quasi nicht. Es ist schwierig, an der Gesellschaft teilzunehmen. Konkret heißt das: Du darfst nicht wählen, nicht erben, nicht offiziell heiraten. Oder Kinder sind nicht so gut vor Kinderarbeit geschützt. In Liberia sind viele Menschen nirgendwo registriert, vor allem Kinder. Da haben wir uns intensiv drum gekümmert.
Weil das Registrieren dort so schwer ist?
Genau, in Liberia gab es eine zentrale Stelle, dort musstest du zum Registrieren hin. Doch in der Regenzeit sind die Straße so schlecht, dass du nicht hinkommst. Und die Menschen auf dem Land sind so arm, dass sie sich das gar nicht leisten können, 2 bis 3 Tage unterwegs zu sein. So haben wir in den Dörfern angekündigt: „Nächste Woche kommen wir, dann könnt ihr eure Kinder registrieren lassen. Haltet euch bereit.“ Dann sind wir gemeinsam mit Distriktbeamten aufs Land gefahren, mit Drucker, PC, Stromgenerator und Geburtsurkunden und haben viele Kinder bis meist spät abends registriert.

Was für die sicherlich viel bedeutet hat …
Ja, so konnten wir dazu beigetragen, dass zumindest diese Personen ein Stück weit mehr Sicherheit, Gerechtigkeit und Frieden in ihrem Leben haben können. Hinzu kommt: Je mehr Registrierte in einem Bezirk, desto mehr Ärzte, Schulen etc. gibt es dort.
Was ist wichtig, wenn man solch einen Job machen will?
Vor allem die Einstellung! Wenn ich in ein anderes Land gehe und sage: „Hallo, hier bin ich. Jetzt zeig ich euch, wie alles geht, rette euch. Ihr seid ja ein unterentwickeltes Land.“ – das funktioniert natürlich nicht. Deswegen ist es auch so wichtig, für eine lokale NGO vor Ort zu arbeiten. Und das Wort „Entwicklungsland“ finde ich sowieso schrecklich.
Warum?
Wir müssen davon wegkommen zu denken, dass wir hier alles können und wissen und andere nicht. Zumal ich erlebt habe, dass bestimmte Sachen in anderen Ländern sehr wohl weiterentwickelt sind. Es geht darum, voneinander zu lernen. In meinen Augen ist Deutschland deswegen genauso ein Entwicklungsland. Das sehen die Vereinten Nationen übrigens auch so, die alle Länder als Entwicklungsländer eingestuft hat. Jedes Land hat unterschiedliche Bereiche, in denen noch viel Arbeit bzw. Verbesserung ansteht.
„Es geht darum, voneinander zu lernen.“
Kannst du uns da ein Beispiel erzählen, wo andere Länder weiter sind?
Als ich 2007 nach Ruanda gekommen bin, gab´s da schon ein Plastiktütenverbot. Und zwar komplett im Land, während wir hier immer noch darüber diskutieren oder sie eben für 20 Cent anbieten. Oder in der Regierung von Ruanda war es völlig normal, dass 50 % Frauen und 50 % Männer waren. Hier wird die Frauenquote immer noch heiß diskutiert.
Du hast sicherlich noch unzählige spannende Erfahrungen vor Ort gemacht. Kannst du uns noch in eine weitere mit hineinnehmen?
In Ruanda habe ich viel im Bereich Aids/HIV gemacht. Bei einer Fortbildung für Gruppenleiter von HIV-Selbsthilfegruppen erzählten mir die Teilnehmer/innen, dass sie keinen Sex mehr haben. Weil ihnen gesagt wurde: „Sex mit HIV ist schlimm für deine Gesundheit, dann stirbst du viel früher.“ Ich habe mit ihnen über die Krankheit, sicheren Sex und auch diese Unwahrheiten gesprochen. Beim nächsten Treffen erzählten fast alle, wie erleichtert sie seien: „Ich hatte erstmals wieder Sex nach 15 Jahren“; „Die Beziehung zu meiner Frau ist wie neu.“ Oder: „Ich fühle mich jetzt wieder als Mensch.“
Ein kleines Erfolgserlebnis mit großer Bedeutung für die Einzelnen …
Ja, und das Wissen wiederum tragen sie selbst in ihren Gruppen weiter. Manche sind heute im Land in führenden Positionen und klären in großen TV-Sendungen über Aids auf.
Gibt es etwas, dass du besonders aus deiner Zeit im Friedensdienst mitgenommen hast?
Wie wichtig Dialog ist. Wie wichtig es ist, einander zuzuhören, Verständnis für dein Gegenüber zu bekommen. Es war auch eine unserer Hauptaufgaben, dass zerstrittene Gruppen sich irgendwie aufeinander einlassen. Es war immer nur möglich, Konflikte zu lösen, wenn sich die Parteien an einen Tisch setzten. Wenn sie einander zugehört und sich in die Lage des anderen hineinversetzt haben. Und das gilt im Großen wie im Kleinen, in Afrika wie in Deutschland.
Und wie erlebst du das heute?
Ich habe den Eindruck, es geht immer mehr darum, sein Ding durchzudrücken, Recht zu behalten. Ich muss den anderen überreden, er muss meine Meinung annehmen. So geht aber einer als Gewinner und einer als Verlierer raus. Ich glaube, wie müssen wieder viel mehr lernen, nicht zu überreden, sondern gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Nur so ist Frieden möglich.
„Gemeinsam Lösungen suchen – nur so ist Frieden möglich.“
Und wie schlimm es ausgeht, wenn jemand wie Putin nicht bereit ist zu reden, erleben wir ja leider in der Ukraine sehr deutlich. Was sind deine Gedanken dazu?
Ja, anhand des Angriffs von Putin sehen wir: Frieden ist nicht selbstverständlich. So wie Demokratie, Menschenrechte, Frauenrechte u. v. a. auch. Und da bin ich echt sehr dankbar, wie gut es mir in Deutschland momentan geht. Dankbar aber auch an alle Menschen in der Vergangenheit, die das teilweise sehr lange, hart und schmerzvoll erarbeitet haben. Die dafür gekämpft haben und auf die Straße gegangen sind.
Frieden – ein großes Wort. Was bedeutet Frieden konkret für dich?
In Frieden zu sein mit mir selbst, anderen Menschen und Lebewesen, mit der Natur und mit Gott. Es ist für mich ein Zusammenleben, bei dem es allen in jeglicher Hinsicht gut geht.

Inzwischen arbeitest du in Deutschland als Sozialarbeiter in einer Wohngruppe für Jugendliche – weiterhin im Dienst für Menschen. Was rätst du generell Leuten, die im sozialen Bereich arbeiten?
Achtsam sein. Auf sich selbst achten. Das heißt dann z. B. für mich, dass ich mir eben mal eine Pause mit Kaffee und Kuchen gönne. Oder in Verantwortung für meine Mitarbeitenden war mir ganz wichtig: Manche hatten zeitweise keinen Zugang zu Essen und Trinken oder hatten gesundheitliche Probleme. Da habe ich erst einmal mit ihnen geschaut, dass die Basics, die Grundbedürfnisse für die Leute stimmen. Denn wichtig ist – egal, wo auf der Welt: Nur, wenn ich mich wohlfühle und es mir gut geht, kann ich gut für andere da sein.