„Keine Kompromisse!“ Oder doch?

Ich mach jetzt keine Kompromisse mehr!" Das höre ich gelegentlich von Männern und Frauen, die ausbrechen aus einem Leben, das sich für sie fremdbestimmt anfühlt. Für sie klingt dieser Satz positiv. Und manchmal ist es tatsächlich auch besser, nicht überall mitzutanzen, alles nur halb und halbherzig zu machen - und nichts richtig. Kompromisse haben kein gutes Image. Viele verbinden mit ihnen Anstrengung, Diskussionen, (falsche) Zugeständnisse. Kompromisse atmen manchmal das Gefühl, dass keiner so recht zufrieden ist. Zum Beispiel, wenn wir nach Tarifverhandlungen erleben, wie beide Parteien mit dem Ergebnis offensichtlich nur zähneknirschend leben können. Ich halte heute dagegen: "Es gibt nichts Besseres als gute Kompromisse!" Sie sind ein echtes Wachstums-Instrument für den Ehe- und Familienalltag. Wir lernen unsere Unterschiedlichkeit zu meistern. Nicht indem wir alle gleichschalten, sondern indem wir mit unserer Vielfalt einen gemeinsamen Weg finden. Als Paar lernen wir zu reden, zu hören, den anderen besser zu verstehen - und auch unsere Kinder.

Ein Beispiel: Der Samstag ist in unserer Familie der Tag der Kompromisse. (Oder auch nicht! Dann geht es meistens schief ...) Wir sind eben ganz unterschiedlich: Erst arbeiten und dann ausruhen? Oder erst ausschlafen und dann arbeiten? Oder nur ausruhen und gar nicht arbeiten? Oder ... Wenn bei uns die Samstagskonzepte unausgesprochen und ungebremst aufeinandertreffen, dann rappelt es bei Gundlachs. Besser ist es da, die verschiedenen Wünsche zu benennen, zu kennen und einigermaßen zu respektieren. Und dann: Kompromisse eingehen. Das heißt nicht, dass es jetzt immer rund läuft ... aber die Chancen, dass wir uns abends noch mögen, sind so wesentlich größer.

Es geht in Ehe und Familie nicht ohne Kompromisse. Sonst verhärten sich Positionen und Herzen, sonst bleibt eine oder einer innerlich auf der Strecke, sonst gibt es Gewinner und Verlierer. All das tut einer Familie nicht gut. Also Kompromisse. Ich will es nicht schönreden: Der Weg ist kein leichter, und Fragen gibt es viele. Muss man immer wieder dieselben Themen umkreisen? Ab wann dürfen und sollen Kinder zu welchen Themen mitentscheiden? Was tun, wenn die Meinungen einfach nicht übereinander zu bringen sind? Was sind die Werte, die wir in den Kompromissen gemeinsam anstreben? Eins aber ist sicher: Mit jedem Kompromiss-Versuch wachsen Sie. In Ihrem Verständnis füreinander, in Ihrer Fähigkeit, zu reden und zuzuhören. Und drei oder vier Mal werden Sie erleben, dass der Kompromiss Ihnen am Ende besser gefällt als Ihre eigene Idee! Ob Sie das dann zugeben, wird von Ihrer Tagesform abhängen.

Martin Gundlach

… ist Chefredakteur der Zeitschrift family und Redaktionsleiter im Bundes-Verlag. Er lebt mit seiner Frau Anja und seinen drei Töchtern in Wetter an der Ruhr.

Aktualisierter Auszug aus: Family 03/13 www.family.de