
Von Foodamentalisten und Banana Pudding?
Als Kind habe ich Bibelgeschichten geliebt. Welches Kind mag keine Geschichten mit großartigen Helden, Wundern und Abenteuern? Fürchterlich empört habe ich mich immer über das Volk Israel. Wie der ahnungslose Narr in einer Tragikomödie tappt es von einem Fettnäpfchen in die nächste Katastrophe. Gott hatte das Volk Israel aus der Sklaverei herausgeführt. Ihr Oberhaupt Mose war zu einem Date mit Gott auf den Berg Sinai aufgebrochen und die Israeliten schlugen ihr Lager im Wüstental auf. Mose schien es nicht eilig zu haben und verweilte 40 Tage auf dem Berggipfel, wo er die 10 Gebote erhielt – das monumentalste Grundwerk für das Funktionieren einer Gesellschaft. Nach einigen Tagen wurden die Israeliten ungeduldig. Vermeintlich allein gelassen, ohne äußeren und inneren Halt, bauten sich die Israeliten einen Altar. Das goldene Kalb. Einen neuen Gott, der hoffentlich mehr taugt als der alte.
Es kam, wie es kommen musste: Mose platzte mitten in die illegale Party, sah sein Volk um das Kalb tanzen und zerbrach aus Frust und Zorn die von Gott erhaltenen Gesetzestafeln. Nach diesem Ereignis regnete es noch eine ganze weitere Reihe an Gesetzen für das Volk Israel, die vor allem Essen, Hygiene, Erbrecht, Sklaverei, Ehe und Sex regelten.
Wir leben heute in einer sehr viel freieren Zeit. Nur hat der Mensch so seine Probleme, mit der Freiheit vernünftig umzugehen. Also schafft er sich gerne neue Gesetze, deren Befolgung er mit religiösem Eifer verfolgt und dann versucht, andere zu missionieren. Die Gesetze haben Namen wie Clean Eating, Low Carb, Superfoods, Veganismus, Paleo, Whole 30, Rohkost. Es gibt sogar eine neue Essstörung: Orthorexia nervosa. Krankhaftes Gesundessen. Kein Witz! Es gibt immer jemanden im Freundeskreis, in der Familie, der gerade die neueste Ernährungssau durchs Dorf treibt.
Ich war in den 90ern glühende Anhängerin der fettarmen Kost. Fettfreier Joghurt mit Süßstoff (es gibt eine Vorhölle). Ich war überzeugt, dass Fettfreiheit die a.b.s.o.l.u.t.e Wahrheit, der Gral aller Gesunden und Schlanken ist. Mittlerweile ist das Quark von gestern. Diese „Wahrheit" landete zusammen mit anderen Diäten in der Mülltonne der Ernährungsgeschichte.
Das, was Religion, Gesellschaft, Politik, Kultur heute nicht mehr gut leisten, schafft die Ernährung: Wir suchen nach körpernaher Erlösung und schaffen uns damit eine neue soziale und kulturelle Identität. Die Einteilung des Essens in Gut und Böse gibt uns ein Gefühl der Ordnung und Sicherheit zurück.
Wer schon mal längere Zeit einen Ernährungstrend mitgemacht hat, weiß, wovon ich rede: Das ganze Denken und Handeln wird nur noch von „das darf ich" und „das darf ich nicht" bestimmt. Solange man sich innerhalb der geforderten Gesetze bewegt, fühlt man sich grandios und immer auch ein klein wenig besser als die Frau vor einem an der Kasse, die gerade ihren Schokopudding und die Gelbwurst bezahlt. Das Überlegenheitsgefühl macht einen leider auch zum nervigen Tisch- und Zeitgenossen, der anderen seine Ernährungsweisheiten um die Ohren haut. Wie oft war ich selbst so ein Foodamentalist und habe anderen gepredigt. Das Problem: Niemand will angepredigt werden! Schon gar nicht von einem Foodamentalisten. Die kommen nämlich auf der Nerv-Skala direkt nach den Zeugen Jehovahs. Niemand sollte sich rechtfertigen müssen für seine Ernährungsweise.
Foodamentalismus ist eine neue Wortschöpfung, die den Kern des Problems trifft. Das Problem am Fundamentalismus ist, dass er meint, die allumfassende Lösung für alle Nöte und alle Antworten parat zu haben. Selberdenken ist nicht erwünscht. Wir müssen nur dem neuesten Ernährungsguru folgen und dann sind wir endlich rein, gut, richtig.
Kann es sein, dass wir uns neue Altäre gebaut haben? Wie das Volk Israel ihr Goldenes Kalb? Noch nie waren die Buchhandlungen und das Netz und unsere Köpfe so voll mit sich zum Teil widersprechenden Speisegesetzen: Iss keinen Fisch (Mikroplastik)! Iss Fisch (Omega-3-Fettsäuren)! Iss kein Fleisch (moralisch-ethisch nicht vertretbar)! Iss Tonnen von Fleisch (Low Carb)! Iss Kokosöl (total angesagt und supergut für dich)! Iss kein Kokosöl (gesättigte Fettsäuren!). Iss Superfoods (du wirst nie wieder krank). Iss keine Superfoods (lange Transportwege). Ernährung ist der moderne Erlösungstanz ums Goldene Kalb. Wir opfern unseren gesunden Menschenverstand, unsere Zeit und Energie auf dem Altar der Ernährungstrends. Wirklich, glaubt mir, ich habe so ziemlich alles mitgemacht, was man mitmachen kann. Und nichts hat dem Hype standhalten können. Ich habe so gar keine Lust mehr, den neuesten Ernährungsgaul zu reiten. Der bekommt eh nur Blähungen und wirft mich wieder ab.
Essen ist so viel mehr als nur ein Regelwerk, es ist Genuss und Freude, Ausprobieren und Gemeinschaft. Wer immer nur sein eigenes Süppchen kocht, isoliert sich zwangsweise. Und wir sind doch auch so viel mehr als nur die Tänzer um das neueste Goldene Kalb. Wir sind Befreite. Geliebte. Keiner neuen Gesetzlichkeit unterworfen. Für uns deckt Gott den Tisch persönlich. tischt die ganze Fülle seiner Schöpfung auf: Brot, Fisch, Fleisch, Käse, Gemüse, Obst, Öle, Kräuter, Honig, Banana Pudding. Wir sind frei. Also sollten wir uns auch wie freie Menschen benehmen und nicht wieder anfangen, ums nächste Goldene Kalb zu tanzen. Kochen wir lieber ein Essen abseits aller Trends und versammeln unsere Lieben um den Tisch. Das ist allemal gesünder.

Veronika Smoor: Willkommen an meinem Tisch © 2019 SCM Verlagsgruppe GmbH, Witten / Holzgerlingen
Veronika Smoor ist Autorin und freie Fotografin. Sie lebt mit ihren zwei Kindern und ihrem Mann auf dem Land, wo sie in ihrer freien Zeit bloggt, kocht, fotografiert und von Dinnerpartys träumt. Mehr unter: www.veronikasmoor.com